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Die Erfahrungen mit dem Schulfernsehen vor al­lem im Ethik-Unterricht sollen hier dargestellt und Schlüsse daraus vorgeschlagen werden. Auf drei Aspekte soll dabei eingegangen werden:
1. Die Bedeutung des Schulfernsehens für den Unterricht im Fach Ethik
2. Die Erfahrungen mit dem Schulfernsehen in Fort- und Weiterbildung - es kann dies auch Schulentwicklung genannt werden
3. Die Bedeutung des Schulfernsehens für thema­tische Innovationen und Aktualität des Unter­richts

1. Zur Unterrichtspraxis

Ethikunterricht in der Teilzeitberufsschule und in den verschiedenen beruflichen Vollzeitschulen orientiert sich didaktisch an den Vorgaben der Rahmenrichtlinien für die Sekundarstufe I aus dem Jahre 1982. Das hier vorgesehene didakti­sche Konzept hat sich inzwischen auch in vielen anderen Bundesländern durchgesetzt. Dieses Konzept geht davon aus, daß Ethik-Unterricht weder der Versuch einer staatlichen Moralerzie­hung sein darf - er kann dies vermutlich auch gar nicht, da wäre Schule auch überfordert-, noch ei­ne reine Theorienpaukerei. Was als Wissen ver­mittelt werden soll, sind Kenntnisse über Wert­vorstellungen und Handlungsbegründungen, gesellschaftliche Normen, in der Auslegungsviel­falt, wie sie uns durch die verschiedenen bei uns und in anderen Kulturen wirksamen Traditionen begegnen - z. B. Christentum, Humanismus, Ma­terialismus, Utilitarismus, Islam und viele mehr. Ein sinnvoller Ethik-Unterricht entsteht jedoch erst, wenn gezeigt werden kann, daß diese Tradi­tionen, diese philosophischen Theorien, gesell­schaftlichen Normen unterschiedliche Antworten darauf sind, wie man im Alltag, in der Lebens­welt, also in der Praxis handeln sollte.

Im Unterricht selbst soll ein Prozeß der ethi­schen Urteilsbildung stattfinden. Die Schülerin­nen und Schüler sollen sich Urteile bilden, sie sol­len aber auch gebildet werden in ihrer Fähigkeiten, solche Urteile zu bilden. Vorausset­zung dafür ist, daß sie sich zunächst ihre eigenen Urteile bilden, wie man in bestimmten Situatio­nen handeln sollte, bevor sie dann diese Urteile formulieren, zur Diskussion stellen, sich gegen­seitig überprüfen und überzeugen wollen, um schließlich in diesen Überprüfungsprozeß die Antworten der verschiedenen Theorien mit einzubeziehen, die Wurzeln ihrer eigenen Position ken­nenzulernen und sich so spezifisch ethische Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen. Nur wenn dieser Bildungsprozeß so gelingt, werden andere Antworten für die Jugendlichen erkenn­bar und einschätzbar, und nur dann, wenn sie die­se Antworten und Konzepte kennen, können sie sich auch an ihnen orientieren.

Damit wird die besondere Funktion deutlich, die in diesem Prozeß der ethischen Urteilsbildung dem Einstieg, den Situationsvorgaben zu­kommt. Sie müssen realistische Handlungssituationen sein oder solche erkennbar machen, die unterschiedlich begründete Handlungsmög­lichkeiten im Umkreis vielfältiger Bedingungen und Folgen bearbeitbar machen. Diese Hand­lungssituationen dürfen nicht zu komplex sein, damit nicht über zu viele Entscheidungskompo­nenten zu sprechen ist; und sie dürfen nicht zu einfach oder zu konstruiert sein, damit der ge­wünschte und einzuübende Diskurs auch möglich ist.

Das Fernsehen ist in diesem Sinne ein unge­mein brauchbares Medium, zumal es den Schü­lerinnen und Schülern geläufig ist, sie also nicht erst im Medium liegende Hindernisse abbauen müssen - das müssen sie an anderen Stellen des Unterrichts zur Genüge. Bekanntlich ist aus urhe­berrechtlichen Gründen dieses ungemein brauch­bare Medium kaum zu nutzen - außer den Schul­fernsehfilmen und wenigen weiteren Ausnahmen. Allerdings sind auch einige Bedingungen zu stel­len: Nicht jedes „Fernsehen" ist in diesem Sinne brauchbar! Überspitzt formuliert: Es gibt außerhalb des Schulfernsehens kaum schulge­eignetes Fernsehen!

An einem Beispiel: Handlungssituationen, wie sie im Ethik-Unterricht benötigt werden, finden sich sehr brauchbar in Spielfilmhandlungen; ein eineinhalbstündiger Spielfilm ist jedoch nicht ein­setzbar, dazu ist die Unterrichtszeit - ein, höch­stens zwei Unterrichtsstunden in der Woche - viel zu schade. Er bringt auch gar nichts, weil der Pro­zeß der ethischen Urteilsbildung ja durch die Situationsvorgabe nur angestoßen werden soll - dieser Prozeß muß aber sofort beginnen, er kann nicht auf später verschoben werden. Die für den Ethik-Unterricht erarbeiteten Schul­fernsehfilme - z.B. die Filme zum „Dekalog" und zur „Bergpredigt" - sind hingegen sinnvoll ein­zusetzen:

Es gibt kaum andere Medien, die diese Funktion ebenso gut erfüllen können wie das Fernsehen, wenn die Filme auch wirklich im Hinblick auf ihre schulische Bearbeitung konstruiert sind. Natürlich gilt all dies entsprechend auch für dokumentarisch-informierende Filme wie z.B zum 'Islam', die an anderen Stellen des ethischen Urteilsbildungsprozesses eingesetzt werden könnte.

Die erste These des Praxisberichts ist: Fernse­hen ist ein ausgezeichnetes Medium im Ethik-Unterricht - dies gilt sicher entsprechend auch für den Einsatz in anderen Fächern -, aber es muß ein speziell für die Schule erarbeitetes Fernsehen sein.

Nun ist die Einführung eines völlig neuen Faches kein sehr einfaches Vorhaben. Beispielsweise gibt es für den Ethik-Unterricht nach nunmehr etwa zwölf Jahren noch immer keine universitäre Aus­bildung. Selbst wenn die Universitäten sofort mit der Ausbildung beginnen könnten, würden min­destens weitere sieben Jahre vergehen, bis die er­sten ausgebildeten Ethiklehrkräfte an die Schulen kämen. Die Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer wurde in den ersten fünf Jahren der Ein­führung ausschließlich über Fortbildungsmaß­nahmen geleistet. Seit 1988 bietet Hessen -bundesweit vorbildlich - zweieinhalbjährige Weiterbildungskurse - inzwischen den dritten -in Ethik an. Noch einmal zur Verdeutlichung: Es gab keine ausgebildeten Lehrkräfte, es gab keine Lehrbücher, es gab nahezu keine Unterrichtsma­terialien für die Schule, dafür eine große Unsi­cherheit über das didaktische Konzept, die Ziel­setzung usw. und immense Erwartungen.

2. Erfahrungen mit dem Schulfernsehen in der Fort- und Weiterbildung

Ethik-Unterricht ist ein junges Fach. Es wird in Hessen erst seit 1982 schrittweise eingeführt. Ethik-Unterricht wird angesichts einer wachsen­den Zahl von nichtchristlichen oder vom Reli­gionsunterricht abgemeldeter Schülerinnen und Schülern in den nächsten Jahren noch weiter an Bedeutung gewinnen. Hierzu trägt sicher auch die Orientierungs-Unsicherheit in der modernen, vie­le Kulturen vereinenden Industriegesellschaft bei. Damit wird - nicht zuletzt empfinden auch die El­tern dies als immer stärkeres Bedürfnis - die Ver­mittlung ethischer Bildungsinhalte zu einer der zentralen, unabweisbaren Aufgaben des Staates. Die gesellschaftliche Realität erscheint der heran­wachsenden Generation in vielen Bereichen ris­kant, undurchschaubar und durch individuelle Handlungen unbeeinflußbar. Hieraus entsteht (nicht nur) bei den Jugendlichen eine Art skepti­scher Relativismus, der den Anspruch auf ethi­sche Handlungsbegründung, auf moralische Ver­tretbarkeit immer mehr aufgibt und damit letztlich die Mitmenschen und die Erfordernisse eines friedlichen Zusammenlebens in einer Ge­meinschaft aus dem Blick verliert. Gleichzeitig wächst aber bei den Jugendlichen das Gefühl, daß hier etwas fehlt, das Bestreben nach Orientierung. Im Ethik-Unterricht können sie in der staatlich verantworteten Schule den Raum und die Zeit fin­den, diese sie bedrängenden Fragen gemeinsam und mit Hilfe zu bearbeiten. Wie wichtig dieses Fach also für die Schule ist, den Schülerinnen und Schülern ist dies sehr schnell klar. Es wurde aber auch von Eltern, von verschiedenen Institutionen, nicht zuletzt auch von diesem Hause immer wieder hervorgehoben. Der Bedarf ist also da und wird gesehen. Die Schulbuchverlage haben die Finger davon ge­lassen. Angesichts der sehr verschiedenen Kon­zeptionen in den einzelnen Bundesländern - in­zwischen gibt es eine erfreuliche Annäherung auf der Grundlage der Praxiserfahrungen - war es ökonomisch zu unsicher. Die vier damals vorge­legten Schulbücher waren zum einen für die Sekundarstufe I - von 7 bis 10, also für 12- und 17-jährige in einem Band - zum anderen meist schnell an Religionsbüchern orientiert zusam­mengestellt. Für die Berufsschule gab es und gibt es immer noch absolut nichts.

In dieser Phase der Einführung des Faches Ethik in Hessen hat das Schulfernsehen im Kontextmo­dell erarbeitete Materialien vorgelegt:

Diese Sendungen haben in der Ausbildung unge­mein geholfen.
Zum einen waren die Filme auf die Altersgruppe und den Erfahrungsbereich der Berufsschüler abgestimmt - es gab sonst ja nichts.
Zweitens gaben die Begleitmaterialien die Mög­lichkeit, den Lehrerinnen und Lehrern, die sich in das 'Abenteuer Ethik' stürzten, ausgearbeitete Vorschläge für Unterrichtsabläufe in die Hand zu drücken.
Zum Dritten: In der Lehrerfort- und Weiterbildung wurde häufig die Chance genutzt, anhand der Filme die Arbeitsweise des Ethik-Un­terrichts darzustellen - und auch, was man nicht machen sollte.
Viertens wurden in den Begleit­materialien vielfältige theoretische Grundlageninformationen zur Ethik, zum Judentum, zum Christentum, zur Quellensituation, zur Moralge­schichte, zu philosophischen Einflüssen und Ge­genpositionen usw. für die Lehrerinnen und Leh­rer erarbeitet, Informationen, von denen sie häufig noch nie etwas gehört hatten.
Und schließlich noch etwas ganz Praktisches: Ich habe aus dem Bestand, der für meine Schule von den Be­gleitheften zum Dekalog bestellt wurde, inzwi­schen etwa vier Fünftel abgegeben: Weitergege­ben in kleinen Klassensätzen an Kolleginnen und Kollegen in Schulen, die mit dem Ethik-Unter­richt beginnen wollten und keinerlei Unterrichts­materialien besaßen - gut, daß es jetzt eine Neu­auflage gibt.

Um den Gedanken etwas allgemeiner zu fassen: Mit dem Schulfernsehen besitzt das Kultusmini­sterium ein Mittel, ja sogar eines der wenigen Mittel, Innovationen in die Schule zu tragen, Schulentwicklung zu betreiben. Verordnungen und Informationsschriften allein reichen da kaum. Wenn die Lehrerfortbildung nicht anders organisiert wird, etwa wie in Betrieben, die Be­förderungsmöglichkeiten an nachgewiesene Wei­terqualifizierung binden, kann sie dies ebenfalls nicht effektiv genug leisten. Die kommerziellen Verlage können diese Aufgabe auch nicht erfüllen - diese Art von Innovationen verlaufen in der Regel zwischen den Bundesländern kontrovers, da­mit können Verlage nicht darauf hoffen, daß ihre Produkte in mehreren Ländern zugelassen wer­den, und schon wird ein Verlag vorsichtig sein müssen - und wenn ein Produkt in dieser Situati­on auf den Markt kommt, bleibt es meist ein fau­ler Kompromiß zugunsten der rigidesten Länder.

Die zweite These lautet also: Das Schulfernse­hen ist eines der wenigen Mittel, die das Kul­tusministerium besitzt, um selber grundlegen­de Innovation dieser Art in die Schule zu tragen. Diese Chance könnte noch viel bewuß­ter genutzt werden.

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